Nahezu gegen jeden vierten ambulanten Pflegedienst in Berlin wird derzeit von der Staatsanwaltschaft Berlin ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges geführt.
Besonders durch die Team Wallraff Reportage aus dem Mai 2014 wurde eine Ermittlungslawine ausgelöst. Die Reportage zum Thema „Systematischer Betrug ambulanter Pflegedienste“ brachte bundesweit und zunehmend in Berlin die ambulante Pflegebranche vermehrt in das Visier des LKA 195 sowie der Staatsanwaltschaft. Gegen etwa 150 der rund 600 Berliner Pflegedienste wird derzeit gemäß § 263 StGB ermittelt.
In der Presse überstürzt sich die Berichterstattung unter unzähligen Titeln wie „Russische Pflegedienste plündern deutsche Sozialkassen“. Hierbei ist zunächst die Bezeichnung „Russische Pflegedienste“ deshalb irreführend, da die Pflegedienste nahezu ausschließlich als deutsche Gesellschaften, überwiegend als GmbH gegründet wurden. Damit sind diese juristischen Personen des Privatrechtes nach deutschem Recht. Die Bezeichnung „Russische Pflegedienste“ impliziert folglich fälschlicherweise, dass es sich um in Russland ansässige Gesellschaften handeln würde. Darüber hinaus ist die Zuordnung zum russischen Raum ebenfalls nicht korrekt. Soweit auf die Herkunft der Geschäftsführer angespielt werden soll, so stammt die überwiegende Anzahl nicht aus Russland, sondern aus der Ukraine. Das Problem der Aussage ist dabei, dass diese neben Vorurteilen auch deutsche Gesellschaften unter russischen Geschäftsführern unter Generalverdacht stellt.
Der Hauptvorwurf ist, dass nicht erbrachte Leistungen abgerechnet wurden sein sollen. Teilweise sollen diese auch mehrfach oder der Dauer nach nicht exakt abgerechnet worden sein.
Außerdem sollen einige Pflegedienste gezielt Anleitungen gegeben haben, um Pflegezuschüsse zu erhalten. Hierbei wurde oft ein erhöhter Pflegebedarf durch gezieltes Training vorgetäuscht und Wohnung z.B. mit einem Rollator, Badewannenlift und sogar Windeln ausgestattet.
Nicht nur die Pflegedienste, sondern auch die Patienten stehen derzeit im Visier der Strafermittlungsbehörden. Durch sogenannte Kick-Back Zahlungen sollen auch die pflegebedürftigen Patienten im Umfang der nicht erbrachten Pflegeleistungen durch Rückzahlungen seitens der ambulanten Pflegestationen „rückvergütet“ worden sein.
Dabei darf nicht verkannt werden, dass die Staatsanwaltschaft jede monatliche Abrechnung rechtlich als eine selbstständige Handlung wertet. Mithin kann pro Patient auf ein Jahr ein Betrug in 12 Fällen in Betracht kommen und als sogenannter gewerbsmäßiger Betrug gewertet werden. Als solcher wäre dieser nach § 263 Abs. III Nr. 1 StGB als besonders schwerer Fall mit mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe bedroht.
Besonders „gefährlich“ wird die Situation soweit nicht nur die Geschäftsführer, sondern auch die Pflegedienstleiter und der Patient unter Verdacht geraten „zusammengewirkt“ zu haben. In diesen Dreieckskonstellationen kann schnell der Verdacht eines gewerbsmäßigen Betruges als Mitglied einer Bande nach § 263 Abs. 5 StGB aufkommen. Dieser ist mit einer Strafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe besonders einschneidend.